Ich mag gerne Fastnacht, Fasching, Karneval oder wie man das sonst auch immer bezeichnen mag. Deshalb war ich auch jüngst am 11.11. in Köln. Im Batman-Anzug. Aber das ist eine andere Geschichte. Denn noch lieber als Fastnacht mag ich Kirmes. Allerdings nicht überall. Hauptsächlich mag ich Kirmes nämlich in meinem Heimatort Kerzell. Die jüngste ist zwar mittlerweile schon 14 Tage her, aber ausgesprochen nachhaltig. So nachhaltig, dass ich die nächsten Tage und Wochen noch etwas davon haben werde. Ich erzähle euch, liebe ständig wachsende Fangemeinde, auch warum!
Von Steffen Reith
Als 17-Jähriger tanzte ich zum ersten Mal bei der Kerzeller Kirmes mit. Mit Unterbrechungen und wechselnden Partnerinnen war ich wohl fünfmal Kirmesbursche. 1996 durfte ich gar der Ploatzknecht sein und gemeinsam mit dem Schnapsknecht die Kirmesrede halten. Die Jahre darauf verkaufte ich mal Getränke beim Tanz oder war einfacher Zuschauer. Aber für eine intensive Feier beim Wirt im Saal reichte es immer. Entweder am Samstag oder am Sonntag. Oft (beziehungsweise meistens) an beiden Tagen.
Wenn in Kerzell Kirmes ist, da sind alle auf den Beinen. Viele Exil-Kerzeller kommen extra in die alte Heimat gefahren, um mitzufeiern. Das ist so ähnlich wie beim Kalten Markt in Schlüchtern. Da war ich übrigens dieses Jahr auch. Zweimal. Einmal eher kurz (Freitag) und einmal eher lang (Montag). Aber das ist erst recht eine andere Geschichte.
Zurück zur Kerzeller Kirmes: Seit ich Ortsvorsteher bin, genieße ich das Privileg, beim Tanz am Sonntag eine Rede zu halten. Dabei streue ich immer ein paar Witze ein. Da freuen sich die Leute meist drauf. Denn das mit den Witzen tun auch der Bürgermeister und der Pfarrer. Das hat sich mittlerweile im dritten Jahr meiner OV-Tätigkeit zu einem kleinen Wettbewerb mit den beiden entwickelt. Den hat in diesem Jahr übrigens definitiv der Bürgermeister verloren. Der hat nämlich gar keinen erzählt. Angeblich hatte er einen in petto und ihn sich aufgespart für nächstes Jahr. Naja, glauben wir ihm mal.
Ich fand meine Rede und meine Witze gar nicht so schlecht. Meine beiden Söhne, beides Kirmesburschen, goutierten meine Darbietung mit mir nicht ganz unbekanntem Desinteresse ihrerseits. „Naja“, dachte ich, „mein Job ist gemacht. Jetzt pendle ich noch ein wenig von Kneipe zum Saal, trinke ein paar Bierchen, und dann wird es heute mal nicht so spät.“ Der Plan war super, aber er gelang halt nicht.
Ich stand in der Kneipe bei einigen Kumpels und sinnierte über die Zukunft unseres Fußballvereins. Aus dem Saal, in dem sich die Kirmesgesellschaft tummelte und der Gaudi-Michel zum Tanz aufspielte, kam das Signal, dass die Versteigerung des Baumes bereits beendet sei. „Das ist ja prima“, dachte ich, „dann ist der Kelch an mir vorüber gegangen.“ Und außerdem wollte ich mir ein Szenario ersparen, wie es einem alten Freund von mir im Jahr zuvor ergangen war. Der hatte schön einen sitzen und heftig mitgesteigert, zur Freude des Publikums, zum Leidwesen seines Sohnes. Auf 550 Tacken hatte mein Spezi den Preis hochgejagt, als der Versteigerer, den sie übrigens „den Metzger“ nennen, ihm den Baum zusprechen wollte. Irgendwie hatte mein Kumpel wohl vergessen, dass das letzte Gebot von ihm kam. Jedenfalls überbot er sich selbst und erhöhte auf 600 Euro. Erst dann fiel der Hammer. Ich bekam keine Luft mehr vor Lachen.
Von 2017 zurück ins Jahr 2018: Drei Kirmesburschen, zwei davon von mir gezeugt, kamen auf mich zu und erklärten mir, dass die Versteigerung nur unterbrochen und definitiv nicht beendet sei. Sie baten mich mitzukommen und bei der Versteigerung mitzumachen. Schließlich sei ich ja Ortsvorsteher und Geschäftsmann. Von Desinteresse meiner Söhne wie während meiner Rede war nichts mehr zu spüren.
Jedenfalls kam ich den Saal und der Metzger-Versteigerer begrüßte mich mit einem lauten „Bensing & Reith“-Ruf. Er sei ja ein großer Fan unserer Agentur und unserer Blogtexte. Irgendwie fühlte ich mich unter Druck gesetzt bei diesem abgekarteten Spiel. Ich fragte noch zwei Freunde aus dem Nachbardorf, ob nicht unsere Clique gemeinsam den Baum kaufen wolle. Ich erhielt keine klare Antwort, einige Tage später konnten oder wollten sie sich nicht an meine Anfrage erinnern.
Nun denn: Nur zweimal zuckte mein Arm – irgendwie aus Versehen – nach oben. Der Metzger brüllte und sang immer wieder „Bensing & Reith“. Beim Stand von 500 Euro ging dann alles ganz schnell: „Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten.“ Da hatte ich den Salat. Kirmesbaum ersteigert für 500 Euro. Das Volk freute sich, der Käufer des vergangenen Jahres sagte: „Was willst du denn? Du bist Ortsvorsteher, Geschäftsmann und hast zwei Söhne mittanzen. Wer außer dir, soll den Baum steigern?“
Zu dem Zeitpunkt war ich noch relativ entspannt. Ich dachte ja, dass ich mich in einer Bietergemeinschaft befinde und außerdem mein Kompagnon und Finanzchef Bensing die Schatulle sofort aufmacht, weil ja dauernd „Bensing & Reith“ gebrüllt wurde. Zwei klare Fälle von „Denkste“.
Wir haben uns mittlerweile darauf geeinigt, dass die Firma die Hälfte des mehr als 27 Meter langen Baumes bezahlt. Den Rest? Nun ja. Vielleicht findet sich ja noch ein Spender, der sich beteiligen will. In der Vorweihnachtszeit sind Spendenaufrufe ja nichts Außergewöhnliches.
Mit den 500 Euro ist es allerdings noch nicht getan. Die Kirmesmädchen und Burschen bringen den Baum und erwarten verständlicherweise, dass sie reichlich Essen und Trinken erhalten. Ich bin derweil noch am Überlegen, ob sie die Fichte zu mir nach Hause oder zum Gedankenturm bringen sollen.
Entscheide ich mich für Variante zwei, steht eines fest: Dann hat der schmalbrüstige Bensing endlich auch mal Holz vor der Hütten.
Ich werde von der Baumübergabe berichten. Versprochen, liebe Fangemeinde!