Wenn man schon gut 30 Jahre lang im journalistischen Bereich unterwegs ist, dann ist einem in der Karriere auch schon der eine oder andere Promi über den Weg gelaufen. Damit meine ich jetzt mal nicht Nico Bensing. Der ist noch nicht ganz soweit.
Das mit den Promis hat jetzt nichts mit Angeberei zu tun. Das bringt der Beruf halt mit sich. Die meisten sind freundlich, aber distanziert, die anderen schon ein bisschen abgehoben, wiederum welche sind so aufgeschlossen und bodenständig, dass man denkt, man spricht mit seinem Nachbarn oder einem dicken Kumpel. Und dann gab es noch Werner Böhm – beziehungsweise Gottlieb Wendehals. Die Nachricht von seinem Tod erinnert mich an eine Episode, die sich im Mai des Jahres 1995 zugetragen hat.
Von Steffen Reith
Werner Böhm ist am Donnerstag im Alter von 78 Jahren gestorben. Bis zu seinem Ableben tauchte er immer wieder in den Gazetten auf, meistens waren die Nachrichten über ihn nicht sonderlich positiv. Ich habe das immer mit Interesse verfolgt – eben, weil ich ihn mal kennengelernt hatte.
Im Jahr 1995 war ich junger Redakteur bei der Fuldaer Zeitung. Die Stadt Fulda hatte sich beim Wettbewerb „Challenge Day“ beworben und musste es schaffen, mehr Leute zum Sporttreiben zu bewegen als die Michael-Schumacher-Stadt Kerpen. Die FZ war Medienpartner der Stadt Fulda und unter anderem für das Programm auf der Aktionsbühne unterhalb der Stadtpfarrkirche zuständig. Der damalige Chefredakteur berief mich ins Orga-Team mit den Worten „Der größte Festesel der Redaktion kann jetzt mal zeigen, dass er nicht nur feiern, sondern auch organisieren kann.“
Schnell war ein Programm gezimmert, doch es fehlte noch der krönende Abschluss. Und irgendwann kam mir eine Idee: „Wir könnten einen Weltrekordversuch mit der längsten Polonäse der Welt von der Stadtpfarrkirche bis zum Stadtschloss unternehmen“, verkündete ich als Greenhorn dieser Truppe. „Kein schlechter Gedanke, aber wie kommen Sie darauf“, fragte der damalige Anzeigenleiter.
Ganz einfach: Weil ich wusste, dass der „Godfather of Polonäse“ einen Bezug zu Fulda hatte. Werner Böhm alias Gottlieb Wendehals hatte mit dem Stimmungslied „Polonäse Blankenese“ 1982 einen Hit, der von da an der Kracher schlechthin bei jeder Faschingsveranstaltung war. Und: Er hatte eine Ehefrau, die aus Fulda stammte.
Der Kontakt war recht schnell hergestellt. Nur eines konnten wir vergessen: den Weltrekord mit der längsten Polonaise der Welt. Die war laut Guinness-Buch der Weltrekorde damals schon mehrere Kilometer lang und für uns unerreichbar. „Wir machen das trotzdem mit dem Wendehals“, sagte der Orga-Chef. Und nach einigen Telefonaten war klar: Ja, er kommt nach Fulda, um am 31. Mai 1995 die Aktionsbühne der Fuldaer Zeitung zu rocken.
Am Tag vor der Veranstaltung reiste Böhm mit Gattin an. Wir trafen uns abends im besten Restaurant Fuldas. Unter anderem dabei in dieser Gesellschaft: Böhm/Wendehals, seine Frau, sein (gleichaltriger) Schwiegervater, der Orga-Chef, meine damalige Freundin (und heutige Frau) und ich eben.
Der Abend war denkwürdig: Böhm/Wendehals war sauschlecht gelaunt, meckerte am Essen und am Wein rum und zeigte wenig Interesse daran, am nächsten Tag die Heimatstadt seiner Frau zu unterhalten. Ich war ob der Allüren des Stars mittelschwer konsterniert und skeptisch, dass wir am Challenge Day einen großen Auftritt von Gottlieb Wendehals erleben.
Doch ich hatte mich getäuscht: Zehn Minuten bevor das Grande Finale steigen sollte, kam Gottlieb Wendehals bestens gelaunt im karierten Sakko und mit gegelten Haaren hinter die Bühne, umarmte mich und dankte erst mal für deinen tollen Abend, den wir zusammen verbracht hatten. Dann startete eine grandiose Show: Von Beginn an riss er das Publikum mit, shakerte mit zwei Nonnen, die vor der Bühne standen, und hatte selbst sichtlich Spaß. Nach einigen Liedern stieg er von der Bühne und führte dann durch die Friedrichstraße die längste Polonäse an, die zumindest Fulda ja erlebt hat. Im Hof des Stadtschlosses ging die Party dann weiter. Ein denkwürdiger 31. Mai 1995, der Gottlieb Wendehals zumindest vorübergehend zu einem „Fulder Jong“ gemacht hatte.
Ich bekam in der Redaktion jede Menge Lob für meinen Wendehals-Coup. Der Lokalchef bot mir sogar das „Du“ an.
Seit dieser Zeit hatte ich nie wieder Kontakt zu Gottlieb Wendehals – und auch nicht zu Werner Böhm. Aber freilich habe ich immer interessiert verfolgt, welche Eskapaden es wieder zu vermelden gab. Nun ist er tot. Das ist traurig.
Ich habe nicht sehr viele Menschen kennengelernt, die innerhalb kurzer Zeit vom arroganten Arschloch zur Stimmungskanone mutieren können. Er konnte es.
Ihm zu Ehren gibt es bei uns im Gedankenturm vorübergehend eine Gottlieb-Wendehals-Gedenkecke. Denn seine Fangemeinde hat er stets zur größten Zufriedenheit bedient. In dieser Hinsicht ist er ein Vorbild für mich.