Es gibt Träume, die einen am Morgen danach ein großes Lächeln ins Gesicht zaubern. Es gibt auch welche, bei denen man vor Wut drei Mal in sein Kissen schlagen möchte, ehe man realisiert, dass sie gar nicht real sind. Was ich vergangene Woche geträumt habe, zählt hingegen eher zur Kategorie: Ist das jetzt wirklich passiert oder war das alles nur Hirngespinst?
Von Paula Mainusch
Folgendes spielte sich in meinem Kopf ab, nachdem ich in einen tiefen Schlaf gefallen bin:
Es war eisig kalt an diesem Februarmorgen im Jahre 1845. Der Wind pfiff, die Minusgrade packten die Natur in ein frostiges Kleid. In ganz Brumzell war es noch still und dunkel. Nicht so am Rhönbad: Hier stand schon seit Jahrzehnten ein prächtiger Palast, der just an diesem Morgen in hellem Licht erstrahlte. Das war ungewöhnlich. Nachdem Kaiser Kaleidoscodus vor 80 Jahren das Areal verlassen hatte, war kein Lebewesen mehr in diesem Gebäude gewesen. Denn: Nur auserwählte Personen, die es würdig sind, den Palast zu bewohnen, können das eiserne Schloss öffnen. Das ist nach Kaiser Kaleidoscodus niemandem mehr gelungen.
An diesem schicksalhaften Morgen machte sich die Magd Paulina Kinzella wie jeden Tag auf den Weg zum Fluss gleich neben dem Palast. Hier holte sie immer frisches Wasser, um Wäsche zu waschen. Verdutzt schaute sie in die Augen von Nicolo Wallrothien, der vor dem Palasttor stand – sichtlich verwundert darüber, dass in einem der Räume Licht brannte. Nicolo war ein handwerklich begabter Geselle und gerade auf dem Weg zur Schmiede gewesen, als er von der Helligkeit geblendet wurde. Gleich neben den beiden reihte (oder reithe?) sich Steffanus Kerzellus ein. Er war gerade in der Gegend spazieren, um auf frische Gedanken zu kommen, und stand nun gemeinsam mit den anderen beiden Dorfbewohnern vor dem verschlossenen Tor.
„Das ist ein Zeichen“, sagte Paulina wie aus der Kanone geschossen, „es kann kein Zufall sein, dass Licht im Palast brennt. Wir sind diejenigen, die versuchen sollen, das Tor aufzukriegen.“ Noch bevor Paulina ausredete, lehnte sich Nicolo mit voller Kraft gegen das Tor. Nichts passierte. „Da muss ein Mechanismus dahinter stecken“, grübelte er nach dem Fehlversuch. „Völliger Quatsch“, sagte Steffanus, der von seiner geistigen Stärke noch nie enttäuscht wurde. Er setze seine Brille auf und staunte nicht schlecht, als er drei eingravierte Zeichen gleich neben dem Schloss entdeckte. Steffanus klopfte drei Mal gegen das Tor und schnipste dann in die Finger. Nichts passierte. „Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben“, sagte schließlich Paulina, schloss die Augen und ergänzte: „alle zusammen auf eins …zwei … drei.“ Nicolo lehnte sich gegen das Tor, Steffanus klopfte drei Mal dagegen und schnipste mit dem Finger, Paulina schloss die Augen und legte ihre Hand auf das Schloss. Ein lautes Geräusch durchzog die Ruhe von Brumzell. Wie durch ein Wunder öffnete sich das Tor einen großen Spalt. Die drei Auserwählten traten ein, und das Tor fiel hastig wieder ins Schloss.
Plötzlich wachte ich auf. Es war eisig kalt an diesem Februarmorgen. Ich fuhr zur Arbeit ans Rhönbad und sah, dass schon Licht im Büro brannte. Ich parkte mein Auto und lief zur Tür.
Du musst wissen: Wir öffnen die Hauseingangstür mit einer App, die einen Motor steuert, der den Schlüssel umdreht und somit das Schloss entsperrt. Und diese App zeigte am besagten Morgen „Motor blockiert“ an. Das Schloss ging nicht auf.
„Das kann doch jetzt nicht wahr sein“, dachte ich, schloss die Augen und legte meine Hand an den Türgriff. Und just in dem Moment, in dem die Tür plötzlich aufsprang, wusste ich: Es kann kein Zufall sein, dass unser neues Domizil ausgerechnet „Gedankenpalast“ genannt wird.