Die großen Festspielwochen stehen bevor: Innerhalb von nur sechs Tagen werden zwischen Steffens SG Helvetia Kerzell und meiner SG Kressenbach/Ulmbach gleich zweimal die Klingen gekreuzt. Und wie sollte es anders sein: Es geht um alles. Um Tod oder Gladiolen. Deshalb muss ich sehr vorsichtig sein. Denn die Gefahr lauert überall.
Von Nico Bensing
„Ausgerechnet“, sagt der Sportjournalist in solch einem Fall gerne. Ausgerechnet Kerzell und Kressenbach/Ulmbach treffen in dieser heißen Phase der Saison aufeinander – und zwar gleich zweimal, denn das Hin- und das Rückspiel finden innerhalb von nur sechs Tagen statt. Das ist schon sehr ungewöhnlich, aber schnell erklärt: Weil Kerzell das Hinspiel verlegen wollte, hat der Spielplan es jetzt also vorgesehen, dass innerhalb von sechs Tagen für beide Mannschaften alles auf dem Spiel steht.
Kerzell ist Letzter, wir sind mit Kressenbach/Ulmbach gerade mal zwei Plätze weiter vorn. Das heißt: Wer in diesen beiden Spielen nichts holt, der kann einpacken, die Saison für beendet erklären und sich mit dem Abstieg aus der Gruppenliga anfreunden.
Das weiß ich, das weiß natürlich auch mein lieber Kollege Steffen. Doch während ich noch aktiv auf diese Entwicklung Einfluss nehmen kann, ist Steffen zum Zuschauen und Anfeuern verdammt. Er ist ja schließlich schon sehr alt. Und da spielt man kein Fußball mehr. Nicht mal mehr Alte Herren.
Aber das heißt natürlich nicht, dass er sich nicht zu helfen weiß. Da wäre zum Beispiel unsere Jungvolontärin Paula, die er permanent versucht auf seine Seite zu ziehen. „Paula, zu wem hältst du eigentlich am Sonntag?“ Und weiter: „Paula, du weißt schon, dass der Standort unserer Agentur Kerzell ist, oder?“ Und zu mir sagt er Dinge wie: „Nico, du läufst heute aber nicht rund. Bist du angeschlagen? Vielleicht solltest du lieber am Sonntag pausieren, damit du dir nichts Ernstes zuziehst. Gesundheit geht vor.“
Psychologische Kriegsführung also, mit der er mich einlullen will. Doch dabei bleibt es freilich nicht. Es wird auch physisch. Je näher das Wochenende rückt, desto absurder trägt es sich im Gedankenturm zu. Beispiel: Beim Gang zur Kaffeemaschine springt Steffen plötzlich von seinem Bürostuhl auf, der daraufhin volle Kanne gegen mich schleudert und mir fast die Bein weg reißt. Steffens Worte: „Ach, entschuldige. Ich hab mich aber einfach so gefreut hier über den Beitrag.“ Und wenn ich ihn dann frage: „Über welchen Beitrag denn?“, dann dreht er sich weg, nuschelt sich etwas in den Bart und setzt sich einfach wieder.
Und deshalb verschanze ich mich jetzt. Stehe nicht mehr auf von meinem Bürostuhl. Trage Helm und Kissen als Schutzpolsterung. Ich weiß: Ich muss auf der Hut bleiben. Denn die Gefahr lauert überall. Draußen, wo Sturm Ignatz tobt, aber auch hier drinnen im Gedankenturm.
Andererseits ist es ja auch eine Ehrerbietung: Schließlich zeigt mir Steffen damit, dass er mich echt für einen gefährlichen Spieler hält. Um eines klarzustellen: Ich bin natürlich nicht unersetzlich in meiner Mannschaft. Aber vielleicht spiele ich ja einen guten Pass, der das Spiel womöglich entscheidet. Und genau davor hat Steffen Angst, liebe ständig wachsende Fangemeinde. Schließlich hat er mir ja schon einige Male zugejubelt – damals, als ich noch im Trikot seiner Helvetia aktiv war. Eine wirklich sehr, sehr schöne Zeit. Aber auch da war ich nicht unersetzlich.
Jedenfalls: Bei all der psychologischen und physischen Kriegsführung denke ich mir: Es ist doch irgendwie auch schön, dass der Steffen mich für so gut hält.
Das Hinspiel am Sonntag findet übrigens in Kressenbach statt, das Rückspiel steht am Freitag in Kerzell an. Wobei das nicht ganz richtig ist. Denn eigentlich ist das Rückspiel das Hinspiel – und das Hinspiel das Rückspiel. Aber das ist eine andere Geschichte. Anpfiff am Sonntag ist jedenfalls um 15:30 Uhr. Und eines kann ich euch versprechen: Ich werde da sein und auf dem Platz stehen, denn ich werde bis dahin allen Gefahren trotzen, selbst wenn das heißt, dass ich mich am Wochenende nicht aus dem Bett bewegen werde.
Und auf Steffens Erscheinen könnt ihr natürlich auch zählen. Falls ihr ihn dann nicht gleich erkennen solltet: Er ist derjenige mit Kerzell-Schal und traurigem Gesicht, weil ich den entscheidenden Pass gespielt habe.
Bleibt eigentlich nur noch die Frage, zu wem Paula am Sonntag hält. Schließlich steht der Gedankenturm zwar in Kerzell. Doch der einzige Fußballer unseres Unternehmens spielt nun mal bei Kressenbach/Ulmbach. Der andere ist nämlich zu alt.