In den jüngsten Tagen ist verdammt viel kaputt gegangen: Allein im Gedankenturm mussten wir zwei Verluste beklagen. Pauli hat den Wasserkocher gekillt, Nico seine Lieblingstasse zerdeppert. Die Vision, dass Koalitionsvereinbarungen mal eingehalten werden, ist ebenso zerplatzt wie der Traum, dass Freiburg endlich mal bei den Bayern gewinnt. Das alles ist allerdings nichtig und klein gegenüber dem Vorfall, der sich in der Nacht zum Samstag in unserer Nachbarschaft ereignet hat. Die Kerzeller Hinweistafel wurde fast dem Erdboden gleichgemacht, die Zukunft zweier Bäume ist aufgrund der Beschädigungen eher ungewiss. Das ist ein nachhaltiges und traumatisches Ereignis, das unser ganzes Team Tag und Nacht beschäftigt. Die Kerzell-Cops beziehungsweise die Gedankenturm-Gendarme – bestehend aus Paula, Nico und Steffen – sind mit der Rekonstruktion beschäftigt. Und wir alle haben unterschiedliche Theorien entwickelt. Diese wollen wir dir nicht vorenthalten, liebe ständig wachsende Fangemeinde.
Von Steffen Reith, Nico Bensing und Paula Mainusch
Paulas Theorie
Eine Sache über mich weißt du noch nicht, liebe ständig wachsende Fangemeinde: Ich bin ein absoluter True-Crime-Podcast-Fan. Es vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht in die Welt der Kriminalfälle eintauche. Und deshalb weiß ich natürlich genauestens, wie man bei der Rekonstruktion einer solchen Angelegenheit vorgehen muss. Ich habe mir Fragen gestellt: Wie sieht der Tatort aus? Was können mir Zeugen berichten? Welche Beweismittel treffen auf meine Theorie zu?
Zu folgenden Ergebnissen bin ich gekommen: Das Ortsschild wurde nicht einfach umgenietet – dann würde es ja in Kleinteilen auf dem Boden liegen. Es wurde präpariert. Das Schild steht ja noch, lediglich eine Hälfte der Dachplatten liegt auf der Erde, und „Herzlich willkommen in Kerzell“ kann man auch noch lesen. Spätestens der gespaltene Baum lässt drauf schließen: Hier war ein Profi am Werk. Ein Halloween-Profi.
Jeden Morgen auf meiner Hinfahrt in den Gedankenturm steht der Nebel tief, es ist dunkel und die Bäume bewegen sich langsam von links nach rechts. Kerzell sieht schaurig aus, so mitten in der Halloween-Saison – und jetzt noch viel schauriger! Elf Tage sind es noch bis zum Hochfest aller Schauderlustigen. Fotos mit ausgeschnitzten Kürbissen sind längst out – Fotos von Lost Places oder vor gruseligen Kulissen der neueste Renner. Meine Theorie: Ein Halloween-Fanatiker hat hier einen schaurigen Fotospot hergerichtet.
Du brauchst Beweise dafür? Meine Hand ist Beleg genug, dass der Fotospot dem Halloween-Fan echt gelungen ist.
Ach ja, aus den Zeugenberichten geht übrigens hervor, dass eine Nachbarin wegen des Kraches wach wurde, den „Kulissengestalter“ auf sein Vorhaben ansprach und damit beauftragt wurde, ihm einen Kaffee zu machen. Mit dem Heißgetränk trat sie dann wieder hinaus in die Dunkelheit und: Der Halloween-Fan war wie vom Erdboden verschluckt. Es spukt in Kerzell …
Steffens Theorie
Als langjähriger Polizei- und Gerichtsreporter bin ich natürlich mit einem deutlich wertvolleren Erfahrungsschatz gesegnet als die Kollegin und der Kollege. Außerdem verfüge ich als Kerzeller Eingeborener über beste Ortskenntnisse und weiß über gesellschaftliche Strukturen Bescheid.
Deswegen biete ich keine Theorie, sondern eine Lösung des Falls. Dieses Attentat auf die Hinweistafel war kein Unfall, der aufgrund von Alkohol oder Drogeneinfluss versehentlich entstanden ist.
Dieser Anschlag war von langer Hand geplant. Eine kriminelle Vereinigung hatte sich gegründet, um Zeichen zu setzen. Die Mitglieder gehören zu den Nachbarvölkern Kerzells. Man nennt sie Löschenröder, Rothemänner, Büchenberger oder auch Eichenzeller. Und die brutalsten Krieger kommen aus Hattenhof. Da geht man zwar nicht allzu schnell zu Werke, aber dafür mit viel krimineller Energie.
Die Mitglieder der Terrorbande haben eins gemein: Sie sind eifersüchtig auf die vielen Aktivitäten und Feste, die in Kerzell stattfinden. Die werden immer so gut besucht, dass das ganze Dorf finanziell profitiert und einen deutlichen höheren Lebensstandard genießt als die Nachbarn. Insofern ist der Neid nachvollziehbar. Andererseits: Was können die Kerzeller dafür, dass sie fleißiger und innovativer sind als die Menschen in der Nachbarschaft? Aber das ist eine andere Geschichte.
Die tollen Feste werden unter anderem auf der Schautafel angekündigt. Deshalb war es ein symbolischer Anschlag der neuen Terrorgruppe, die sich gegen die Unterdrückung der Kerzeller wehrt. Ich habe meine Kontakte und meine Spürnase genutzt und herausbekommen, wie sich die kriminalistische Vereinigung getauft hat. Sie nennt sich „Feinde Kerzeller Kulturen“ und kürzt sich entsprechend mit FKK ab.
Nicos Theorie
Schauen wir uns zunächst einmal die Fakten an: Da wäre ein zerbeultes Willkommensschild aus Holz, außerdem zwei entzweite Bäume und haufenweise zerfetzte Autoteile.
Da liegt der Gedanke nahe: Zerfetzte Autoteile gleich Autounfall gleich Pauli. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, denn: Der Wagen unserer Volontärin befindet sich aktuell in makellosem Zustand.
Deshalb müssen wir auch die restlichen Indizien unter die Lupe nehmen. Was mir dabei direkt aufgefallen ist: Vom kaputten Willkommensschild aus Holz ist nur noch die Hälfte da. Genauso wie von den Bäumen.
Da die vergangenen Tage recht kühl waren, wird jetzt, liebe ständig wachsende und deduktiv denkende Fangemeinde, endlich ein Schuh draus. Steffens Heizung ist kaputt, er heizt derzeit mit Holz. Und weil die Lieferung sich verzögert, hat er einfach am Kerzeller Ortseingang Holz gehackt. So weit, so logisch. Jetzt aber wird’s perfide: Um die Tat zu vertuschen, hat er Pauli mit in die Sache reingezogen. Sie musste nämlich alte, zerbeulte Autoteile rund um den Tatort verteilen. Davon hat sie schließlich genug in der Garage.
So, liebe ständig wachsende Fangemeinde. Nun ist es an dir: Schreibe uns, wer von uns deiner Meinung nach den Fall gelöst hat. Und wenn du deine eigene Theorie hast: Her damit!
Übrigens: So ganz abwegig ist der Gedanke ja nicht, dass der Anschlag uns beziehungsweise dem Gedankenturm gegolten hat. Wir haben in den jüngsten Wochen so vielen potenziellen Kundinnen und Kunden absagen müssen. Zu viel Umsatz, zu wenig Zeit. Aber das ist – schon wieder – eine andere Geschichte.