Ich muss gestehen: Ich bin naiv, jung und blauäugig. Naja, naiv und blauäugig. Jung bin ich nicht mehr. Wenngleich ich noch deutlich jünger bin als Kollege Steffen. Aber das ist eine andere Geschichte. Wobei: Eigentlich nicht. Denn genau darum soll es heute gehen: um alte Hasen und junge Hüpfer.
Von Nico Bensing
Meine jugendliche Naivität hat mir schon das ein oder andere Mal einen interessanten Lebensabschnitt beschert. Zum Beispiel als ich nach Abi und Ausbildung zum Bankkaufmann (Vater: „Jung, lern was Gescheites!“) einfach mal nach Neuseeland abgehauen bin. Ganz allein mit einer ordentlichen Portion Heimweh, die damalige Freundin knapp 20.000 Kilometer weit entfernt, das Portemonnaie nicht wirklich prall gefüllt – und ausnahmslos fremde Gestalten um mich herum. Es gab noch keine Smartphones, kein Whatsapp, für das Internet musste ich in den Hostels ordentlich Geld latzen, und wenn ich mal nach Hause telefonieren wollte, dann musste ich eine 40-stellige Nummer vorwählen, um einigermaßen günstig davonzukommen.
Und dennoch: Was ich in dieser Zeit gelernt und an Erfahrung gesammelt habe, möchte ich für nichts in der Welt eintauschen. Aber das ist eine andere Geschichte. In diese Situation bin ich nur geraten, weil ich nicht all zu viel nachgedacht habe – und weil ich bei allen warnenden und Angst einflößenden Aussagen mancher älterer Leute (die es ja nur gut mit mir meinten) die Ohren einfach verschlossen habe.
Jüngst allerdings, es ist gerade mal einen Tag her, hätte ich vielleicht doch mal auf einen Alt-Kollegen hören und nicht meiner jugendlichen Naivität den Vorrang einräumen sollen. Ich war zum Abendessen verabredet. In Fulda. Mit einer Freundin. Mein Auto hatte ich in der Innenstadt bei einem Kumpel geparkt, der dort ein Sportgeschäft hat. „Nico, clever wie du bist, stellst du deine Karre auf deren Parkplatz ab. Dann hast du es nicht weit – und einen Parkschein musst du auch nicht ziehen. Kluges Kerlchen“, dachte ich noch so bei mir. Gesagt, getan.
Die warnenden Worte meines Kollegen Steffen habe ich gekonnt überhört. „Die machen da abends das Rolltor zu. Du kommst dann nicht mehr raus“, sagte Steffen vorher zu mir, als ich ihm stolz von meinen perfiden Plänen berichtet hatte.
So ein Humbug! Ich hab da schon ein paar Mal geparkt – und nie, wirklich nie, war das Rolltor abends verschlossen. Doch diesmal sollte alles anders sein. Wir hatten unsere Pizza verdrückt, ich – ganz der Gentlemen, der ich bin – zücke meinen Geldbeutel und stelle fest: Shit! Ich hab vergessen, vorher Geld abzuheben. Also hat meine Begleitung – ganz die Dame, die sie ist – unsere Zeche bezahlt. Die italienisch akzentuierten Sätze des Pizzabäckers, der übrigens ebenfalls Nico heißt, klingen noch immer ein wenig nach: „Ah, die Senorita musse bezahle. Du bringst schöne Frau mit und bekommst noch die Esse ausgegebe. Junge Mann weiße, wie es geht.“ Was soll ich da noch ergänzen?
Nach dem Abschied dann der Schock: Das Rolltor ist verschlossen. Verdammte Axt, der Reith hatte recht. Und die große Frage: Wie komm ich jetzt da rein und mein Auto wieder raus? Quälende Minuten, in denen ich sämtliche Optionen durchspiele. Erstens: Ich rufe Steffen an und gestehe meine Dummheit. Auf keinen Fall. Das Triumph-Geschwätz höre ich mir nicht monatelang an. Zweitens: Ich lasse mich von einem Bekannten abholen und am nächsten Morgen wieder hinfahren. Deutlich attraktiver, aber auch nicht optimal. Also zücke ich das Smartphone (die gibt’s ja mittlerweile) und rufe (drittens:) den Kumpel an, dem die Parkplätze gehören. Zum Glück ist er noch wach.
„Hat die Pizzeria nebenan noch auf?“, fragt er mich.
„Ja, der Pizzabäcker kann mich sogar ganz gut leiden, glaube ich.“
„Er kann dir einen Schlüssel geben, das sollte dann kein Problem sein.“
Also gehe ich wieder in die Pizzeria und frage nach dem Schlüssel. „Ah, isse Senor ohne Geld. Jetzt wille Schlüssel habe.“
Zusammen mit meinem Pizzabäcker öffne ich die Tür, steige ins Auto ein, das Rolltor öffnet sich, und ich habe mal wieder Glück gehabt. Was lerne ich daraus? Nichts! Denn – und das ist es, was ich aus all meinen naiven Vergehen tatsächlich mitgenommen habe – es geht schon immer irgendwie gut. Mit dem Herz am rechten Fleck und charmantem Grinsen wird einem die eine oder andere Dummheit durchaus verziehen. Und Leuten wie Steffen sei gesagt: Danke für eure Tipps. Ihr habt ja recht. Aber ihr habt ja früher auch nicht auf die alten Hasen gehört.