Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee: Während des Malle-Urlaubs mit den A-Jugendfußballern waren mit Stefan und Klaus gleich zwei Kumpels als Begleiter dabei, die als selbstständige Verkaufsfahrer bei der Firma Eismann arbeiten. Die erzählten von guten Verdienstmöglichkeiten und interessanten Begegnungen mit ihren Kunden. „Fahr doch mal mit“, sagte der Klaus: „Dann bekommst du zwei Sätze Trikots für die A-Jugend und ich ne Gratifikation vom Arbeitgeber. Gibst dich einfach als Interessent aus, dass du auch den Job machen willst.“ Eine Win-Win-Situation quasi. Und, liebe ständig wachsende Fangemeinde, weil noch ein Blogtext dabei herausgesprungen ist, ist es eine Win-Win-Win-Situation. Gut, gelle?
Von Steffen Reith
Klaus macht den Job als selbstständiger Handelsvertreter bei Eismann seit 30 Jahren und geht bald in den Ruhestand. Er wird seinen Job vermissen, das merkt man deutlich. Und die Kunden werden ihn vermissen. Das merkt man noch viel deutlicher. Drei Stunden lang begleite ich ihn bei seiner Tour, die ihn an diesem Tag unter anderem in einen Fuldaer Stadtteil führt. Alle sechs Wochen kommt er dort hin, viele Kunden – die meisten im Seniorenalter – warten bereits auf ihn. Sie haben ihre Bestellliste schon weitgehend ausgefüllt. Klaus präsentiert noch seine Sonderangebote: Die Kundinnen mögen es, wenn sie noch ein bisschen grübeln können, ob sie noch die Sonderedition an Eis oder die neue tief gefrorene Fischvariante nehmen oder nicht. Meistens kriegt Klaus sie rum.
Klaus heißt mit Nachnamen Helfer. Und ich, der ja des leichten Wortspiels auf niederem Niveau durchaus mächtig bin, trete hinter meinem 3-Stunden-Chef mit den Worten „Ich bin der Helfer von Herrn Helfer“ in die Kundenwohnung ein. Und schon habe ich bei den meisten gewonnen. Die Leute freuen sich, dass Klaus einen „jungen Nachwuchsmann“ oder gar einen „jungen Kavalier“ mit dabei hat. Naja, jung ist natürlich relativ. Mit knapp 50 Jahren ist eigentlich niemand mehr jung. Aber die Kunden sehen es halt so.
Jedenfalls ist es schon interessant, so als Inkognito-Co-Eismann unterwegs zu sein. Bei jeder Kundin ist es anders. Manchmal sitzt der pensionierte Gatte dabei und bestellt fleißig mit, manchmal interessiert es ihn gar nicht, dass Besuch im Hause. Manchmal gibt es gar keinen Ehemann mehr. Und dann gibt es noch eine vierte Variante: Bei einer Kundin sitzt der Mann dabei und wird von seiner besseren Hälfte angepfiffen, dass er sich nicht an der Bestellung beteiligt. Und wenn er was sagt, dann wird ihm empfohlen, besser ruhig zu sein, weil er ohnehin keine Ahnung habe. Loriot hätte an dieser Szene seine wahre Freude gehabt. Hatte ich übrigens auch.
Klaus nimmt sich Zeit für seine Kunden. Ganz gleich, ob sie für 20 oder 200 Euro bestellen. Er fragt, wie es den Leuten seit dem letzten Besuch ergangen sei. Tatsächlich sehnen manche die Visite des Eismannes herbei. Sie sind einsam und freuen sich über einen Gesprächspartner. Klaus hat bei seinen Besuchen auch schon Autos und Waschmaschinen repariert.
An dem Tag, an dem ich ihn begleite, wartet in Petersberg eine Frau auf ihn, die die 80 bereits überschritten hat. Sie hat ihre Liste fertig, ich trage die Sachen rein und Klaus räumt sie ins Gefrierfach. Das macht er übrigens oft. Zum Schluss drückt die Kundin dem Eismann noch eine Glühbirne in die Hand, die er an der Küchenlampe anbringt. „Das ist ganz normal“, sagt der Klaus.
13 Kunden haben wir während unserer gemeinsamen Tour geschafft. Es war höchst interessant, und ich habe schon vielen von meinem Ausflug erzählt. Das ist ja meist ein wichtiges Zeichen, dass das Erlebnis ziemlich interessant war. Ich dachte immer, dass ich als Journalist den spannendsten Beruf überhaupt habe. Aber der des Eismannes steht meinem nicht viel nach. Wenn überhaupt. Klaus meint, wenn das mit unserer Agentur nicht mehr läuft, dann könne ich immer noch Eismann werden. Kann man mal drüber nachdenken. Kleines Handicap meinerseits: Bei meinem technischen Geschick wird das nix mit Autos und Waschmaschinen reparieren. Das mit der Glühbirne könnte ich gerade noch so schaffen. Aber: Das mit den Leuten sprechen und zuhören, das kann ich bestimmt.